Im Museum ein paar Jahrhunderte durch die Zeit reisen, das kannten wir bereits, aber gleich mal flugs mehrere Jahrtausende überbrücken, das war neu für uns – und ungemein spannend! Im Freilichtmuseum Oerlinghausen taucht man ein in verschiedene Epochen der Ur- und Frühgeschichte und erlebt, wie unsere Ururururururururururahnen ihren Alltag gestalteten und vor allem bewältigten. Herr Müller begleitete uns durch die Steinzeit und wusste wirklich jede Menge spannender Geschichten und Details zu berichten. Wir begannen bei der Altsteinzeit, über die wir so erstaunliche Dinge lernten, wie die Tatsache, dass zu der Zeit bei uns eine nahezu sibirische Tundra mit Eisbären und Rentieren herrschte und dass man mit acht Stunden Arbeit (=Jagd) pro Woche gut auskam. Allerdings war damals die Work-Life-Balance von eher harten Lebensbedingungen bei Kälte und wenig Schutz davor schwer aus dem Gleichgewicht geraten. Das besserte sich in der Mittelsteinzeit, die für uns nur einen kurzen Weg den Hügel hinauf entfernt lag, mit dem wir aber immerhin 4000 Jahre übersprangen. Die Hütten dort waren komfortabler, die Jagd- und Lebensbedingungen gut vereinbar. Und die Waffen eben schon so ausgereift, dass man mit Pfeil und Bogen den ein oder anderen leckeren Braten leicht erlegen konnte. Der nächste Schritt hin zum beeindruckenden Langhaus der Jungsteinzeit markierte dann auch den Übergang zu Besitz, Auseinandersetzungen darum und die Hinwendung zu Landwirtschaft und damit zu einem durchaus unbequemeren und konfliktreicheren Leben. Bei unserem Besuch sahen wir uns vor allem in der Steinzeit um, aber das Museum zeigt noch Stationen bis ins frühe Mittelalter hinein in die Zeit der Merowinger. Aus all diesen Epochen sind Wohngebäude authentisch und detailgetreu aufgebaut, so dass man tatsächlich durch das Alltagsleben der Vorfahren spaziert. Das Besondere an diesem Museum ist aber vor allem, dass man über eine bloße Ausstellung weit hinausgeht und Historie erlebbar macht. Absperrungen gibt es nur sehr wenige und dafür umso mehr zum Anfassen und Ausprobieren. Wer mag, kann sogar im Haus der Bronzezeit übernachten, sollte aber nicht auf Taschenfederkernmatratzen hoffen. Allerdings mahnen die Museumsregeln beim Betreten dazu, allem sorgsam zu begegnen und nichts zu zerstören. So wurden beispielsweise viele Pflanzen bewusst angesiedelt und sollten nicht zertreten oder gar gepflückt werden. An den meisten Tagen finden im Museum Aktionen und Vorführungen statt. Diese gelebte Geschichte zeigt viel eindrucksvoller als jedes Buch und jede Schautafel, wie was hergestellt wurde, wie die Menschen lebten. Soweit man es eben weiß, denn auch das haben wir gelernt: Die Archäologie hat durchaus noch einige Rätsel zu lösen. Wir durften eine Friedensmiliz sehen, die im Mittelalter als Berufskrieger unterwegs waren. Vor allem aber konnten die Kinder im Langhaus am Feuer kleine Tongegenstände werken und brennen und für ihr eigenes Essen sorgen, indem sie Korn mahlten und zu Brotfladen buken. Ein Blick in den Veranstaltungskalender des Museums zeigt, dass sich ein Wiederkommen auf jeden Fall lohnt, wenn andere Living-History-Gruppen oder Aktionstage locken.
ELTERNMEINUNG
Wir empfehlen in jedem Fall, sich einen Aktionstag für den Besuch auszusuchen, ein Mitmachprogramm (zum Beispiel für einen Kindergeburtstag) zu buchen oder sich zumindest einer der öffentlichen Führungen anzuschließen. Ein bloßer Spaziergang durchs Gelände gibt trotz der schönen Umgebung, der einladenden Picknickstelle und des Spielplatzes mit Bachlauf (an dem wir alle kurz im Kopf durchgingen, ob noch Wechselwäsche im Kofferraum liegt, weil er die Kinder so begeisterte …) nicht allzu viel her. Außerdem wäre es zu schade um die Chance, Geschichte wirklich und im Wortsinne zu erleben. Es macht eben einen großen Unterschied, ob man auf einem Schaubild sieht, wie Birkenpech (der Klebstoff der Steinzeit) gekocht wurde oder ob man es riechen und sehen kann, wie wir an diesem Nachmittag. Plötzlich stellen sich auch ganz andere Fragen, die man in diesem Museum wunderbarerweise auch sofort stellen kann. In diesem Fall an den Museumstechniker Herrn Raimann, der gerade den Jahresvorrat an Pech herstellte. Genauso war es im Langhaus: Es ist eben was anderes, ob man zur Kenntnis nimmt, dass Frauen und Kinder der Jungsteinzeit bis zu acht Stunden am Tag Korn gemahlen haben und dabei schwere körperliche Schäden davontrugen oder ob man selbst mit einem Stein vor einer Mulde sein Glück versucht. Auch wenn die Kinder dabei Feuereifer zeigten und beteuerten, das würden sie definitiv lieber machen als Mathe üben, mussten wir mit etwas Fertigmehl schummeln, um genug Teig zusammen zu bekommen. Die ganze Aktion mit Brotbacken und Tonbrennen nahm schon ihre Zeit in Anspruch, aber Herr Müller wusste so viele spannende Geschichten zu erzählen und war spürbar so begeistert von seinem Beruf, dass wir alle ganz gefangen waren. Ein toller Ausflug in die Frühgeschichte!
KINDERMEINUNG:
Wir durften diesmal Lisann (3 Jahre) als begeisterte Zuschauerin, Paula und Jannis (5 Jahre), Merit, Marlen, Erik und Julius (schon oder fast 9 Jahre) und Amrei, Johanna und Laura (alle 11 Jahre) begleiten. Als unsere Tester am Ende gefragt wurden, was sie am besten fanden, war die Antwort eigentlich vorher klar: Die Sachen zum Mitmachen natürlich. Spürbar begeistert brachten sie ihre Tonkugeln in die tollsten Formen, von denen aber leider nicht alle überlebten, so dass man lernen konnte, wie frustrierend die Kunst sein kann. Gespannt wurde in der Asche nach Tonteilen Ausschau gehalten und beim Abkühlen der Schmuckstücke im Gras auch die kleinste Scherbe noch zugeordnet. Außerdem zeigten alle vollen Einsatz beim Korn mahlen und Teig kneten und waren hoch gespannt auf die Fladen, die direkt auf der Glut gebacken wurden. Nichts schmeckt halt so gut, wie selbst und mit Liebe Gebackenes, und sei es mit Ascheresten. Selbst die Kleinen, die eigentlich noch ein bisschen zu jung für das Programm waren, durften mitmischen und taten dies voller Inbrunst. Doch auch die ausführlichen Erläuterungen und detailreichen Antworten auf die vielen, vielen Fragen begeisterten die Kinder. Hier wurden sie nicht belehrt, sondern erfuhren, dass sich genau solche Fragen die Wissenschaft eben auch gestellt hat oder sogar noch stellt. Alle Kinder spürten, dass sie mit Herrn Müller einen echten Experten vor sich hatten und sprudelten all ihre Fragen heraus. Da wurde gefachsimpelt über das Ausgraben uralter Latrinen (ja, die stinken tatsächlich immer noch!) oder erörtert, wie man wohl merkt, wann das Brot durch gebacken ist, wenn man eben nicht auf die Uhr schauen kann. Deshalb bekamen die Kinder zugleich auch einen guten Einblick in den Beruf des Archäologen und waren sichtbar fasziniert von den Erzählungen, wie man sowas überhaupt raus bekommt und dass die Arbeit durchaus auch Gefahren birgt. Sicherlich wird der eine oder die andere sich überlegen, ob Experimentalarchäologe nicht eine coole Berufswahl wäre, denn was haben wir gelernt? Der Archäologe gräbt das Rezept aus, der Historiker liest es, aber der Experimentalarchäologe probiert es aus.