Annette Ollesch, Anwältin für Familienrecht

Zu Beginn unseres Gesprächs zeigt mir Frau Ollesch eine Postkarte, die sie als Werbematerial von der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht des Deutschen Anwaltvereins verwendet: „Von glücklichen Kindern empfohlen: Anwältinnen und Anwälte. Ihre Ehe kann ein Anwalt nicht retten. Aber mit Ihnen gemeinsam viel für das Glück Ihres Kindes tun.“ steht darauf. Ist das nicht, was alle wollen? Das Beste fürs Kind, wenn sich die Eltern auch trennen. Schließlich lese ich das bei so ziemlich jeder Promi-Scheidung als Kommentar: „Wir wollen weiterhin beide Eltern bleiben.“ Wie sieht aber die Realität aus? Geht das überhaupt? Welche rechtlichen Grenzen und Möglichkeiten gibt es? Und wie ist das mit den Rechten als Eltern, wenn man noch zusammen ist? Heirate nicht, lass es sein? Oder auf jeden Fall auch rechtliche Absicherung, spätestens, wenn man gemeinsam Kinder bekommt? Ich durfte Frau Ollesch mein ganzes Halbwissen präsentieren und habe wieder viel Interessantes gelernt.

Hasenfenster

Wieso haben Sie sich als Familienanwältin spezialisiert? Mir wurde mal erzählt, dass man dabei eigentlich die meiste Zeit Vermögen aufteilt und Unterhalt berechnet.

AO

Es gehört einiges an Rechnerei dazu, aber das macht mir Spaß. Mathe lag mir immer schon, und das kommt mir nun zugute. Vor allem aber wollte ich immer einen Beruf haben, bei dem ich nahe an den Menschen bin. Und das ist innerhalb der Juristerei in diesem Bereich am meisten der Fall. Im Familienrecht geht es weniger formalistisch zu.

Hasenfenster

Sie meinen, man hat weniger Paragraphen, an die man sich genau halten kann, sondern muss mehr auch individuell und nach Menschenverstand entscheiden?

AO

Natürlich gibt es Paragraphen und Vorschriften, aber man geht bei deren Anwendung vor allem auch zielorientiert vor. Es sollen gute Lösungen für alle Beteiligten gefunden werden. Für mich wäre das Strafrecht beispielsweise nie eine Option gewesen. Dafür braucht man eine Distanz, eine andere Herangehensweise. Das bin ich nicht.

Hasenfenster

Habe ich mir Ihren Berufsalltag so vorzustellen, dass Sie fast ausschließlich mit Trennungen und Scheidungen zu tun haben, oder umfasst das Gebiet noch andere Bereiche?

AO

Überwiegend bin ich mit diesen Dingen befasst, Vormundschaften oder Adoptionen kommen auch vor, aber selten. Vieles fällt auch im Nachgang einer Scheidung an, insbesondere was Belange der Kinder betrifft oder auch der Unterhalt.

Hasenfenster

Gelingt es Ihnen, unparteiisch zu sein?

AO

Das muss ich gar nicht. Ich vertrete die Interessen meiner Mandantin/Mandanten, ergreife also Partei. Es ist aber wichtig mit einem gewissen Abstand auf den Sachverhalt zu blicken und die Emotionen herauszunehmen.

Hasenfenster

Ich höre immer wieder, wenn man sich einen gemeinsamen Anwalt nimmt, wird’s billiger.

AO

Das ist eine weitverbreitete Meinung, aber ich darf überhaupt nicht beide Seiten vertreten aus standesrechtlichen Gründen. Das würde schließlich bedeuten, dass ich beider Interessen gleichermaßen wahren müsste. Der Richter oder die Richterin muss unparteiisch sein, der Anwalt oder die Anwältin nicht. In einem Scheidungsverfahren herrscht in Deutschland Anwaltszwang. Der Gesetzgeber hat das so festgelegt, weil man der Meinung ist, der Bürger oder die Bürgerin könne nicht alle rechtlichen Folgen dieses komplizierten Sachverhaltes abschätzen und müsse daher geschützt werden. Es gibt einen Ausnahmefall, nämlich, wenn bei einer „einverständlichen Scheidung“ nur zugestimmt wird, ist dies ohne Anwalt möglich. Dann braucht nur der Ehegatte, der den Scheidungsantrag stellt, einen Anwalt.

Hasenfenster

Dann kommen beide Partner zu Ihnen und später sind Sie für einen der beiden zuständig?

AO

Oft werde ich gefragt, ob beide zusammen zu einem Erstgespräch kommen dürfen. Das geht natürlich gerne, aber ich kläre die Eheleute in diesem Fall darüber auf, dass ich im Streitfall und vor Gericht dann nur einen von ihnen vertreten kann. Ich finde es wichtig, Eheleute die sich einvernehmlich trennen möchte, die Möglichkeit zu geben, sich gemeinsam rechtlich beraten zu lassen.

Hasenfenster

Das hört sich für mich so an, als könnte man doch so etwas wie eine „gute“ Scheidung haben?

AO

Zwei Voraussetzungen gibt es, bei denen Scheidungen unkompliziert und ruhig ablaufen: Zum einen, wenn sich beide Partner bereits emotional aus der Ehe verabschiedet haben. Sie schätzen das, was sie hatten und womöglich noch haben, wollen Freunde und auch gemeinsam Eltern bleiben, aber eben keine Ehepartner mehr sein. Zum anderen ist ein Hauptthema die wirtschaftliche Situation. Wenn die klar und unstrittig ist, gibt es auch weniger Probleme. Im einfachsten Fall läuft es so ab: Es findet eine erste Besprechung statt, bei Bedarf kann eine notarielle Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung, in der alle Dinge geregelt werden, auf die man sich geeinigt hat, gemacht werden, und nach Ablauf des Trennungsjahres kann der Scheidungsantrag bei Gericht gestellt werden.

Hasenfenster

Welches ist der Hauptgrund für das Scheitern von Ehen, oder allgemeiner: Beziehungen?  Ist es wirklich am Ende sowas Banales wie die Hausarbeit?

AO

Es sind oft die Veränderungen, die Kinder mit sich bringen. Beide Partner müssen dann ihre Rollen neu finden, und das gelingt häufig nicht ohne Reibungsverluste. Meistens sind es die Frauen, die sich dann vornehmlich um die Familie kümmern und sich eben ganz neu fokussieren. Die Partnerschaft leidet.

Hasenfenster

Und den Frauen fehlt die Anerkennung. Und wenn die Kinder aus dem Haus sind, sitzt man da und kann sich nicht erinnern, was man miteinander geredet hat, bevor sie da waren.

AO

Nicht nur, wer zu Hause bleibt, wünscht sich Anerkennung, auch der berufstätige Teil. Der Mann arbeitet, kommt nach Hause, bringt das Geld mit und spielt im Familienalltag vielleicht keine Rolle mehr. Auch das nagt am Selbstbewusstsein. Ich beobachte im wesentlichen drei Phasen für Trennungen. Die erste setzt ein, wenn die Kinder im Grundschulalter sind, weil zu viele unterschiedliche Dinge und Entscheidungen die Partner beschäftigen und voneinander entfernen: Kindererziehung, Krankheiten, Betreuung der Kinder, Hobbies, Schulalltag, vielleicht Hausbau. Jede/r taucht in seinen Bereich ein und man bindet sich gegenseitig zu wenig ein. Da setzt zuweilen eine starke Entfremdung ein. Die zweite Welle folgt dann zehn Jahre später, wenn die Kinder noch selbstständiger werden und die letzte dann, wenn die Kinder Studium oder Ausbildung beenden, so kurz vor der Rente. Interessanterweise sind es dann eher die Frauen, die sich trennen, zuvor eher die Männer. Man rechnet heute mit einem Leben von 85 Jahren, und dann fragt man sich schlimmstenfalls, ob man mit dem Gegenüber wirklich noch 20, 25 Jahre zusammen sein will.

Kommen finanzielle Probleme hinzu, wird es noch schwieriger, denn der Streit ums Geld ist auch häufig ein Auslöser für eine Trennung.

Hasenfenster

Aber versucht man nicht, gerade als Eltern der Kinder wegen zusammen zu bleiben?

AO

Ich kann nur immer wieder raten, die Kinder nicht als Grund vorzuschieben. Damit dient man ihnen meistens nicht, weil zerrüttete Ehen auch sie belasten. Kinder können in aller Regel gut mit Trennungen umgehen, so lange klare Verhältnisse herrschen und die Eltern sich nicht streiten. Daran hapert es aber nur viel zu oft. Manchmal kann durch eine Trennung das Verhältnis der Kinder zum Vater ganz neu definiert werden.

Hasenfenster

Inwiefern? Weil sie dann plötzlich Väter sein müssen, auch wenn sie sich vorher wenig gekümmert haben?

AO

Berufstätige Väter verbringen im allgemeinen weniger Zeit mit ihren Kindern. Sie tauschen sich nicht so sehr mit anderen Vätern aus wie Mütter untereinander. Zudem erleben sie weniger andere Kinder und können so weniger vergleichen. Mütter werden dann zu Expertinnen, und sehen ihren Weg als den einzig richtigen und erwarten, dass der Vater alles genau nach ihren Vorstellungen macht. Dabei muss man aber vielleicht auch dem Partner zutrauen oder wenigstens zugestehen, Entscheidungen in alltäglichen Dingen zu treffen und Dinge anders zu machen.

Hasenfenster

Bevor wir Kinder hatten, ist mir auch aufgefallen, dass Freundinnen sich beschwerten, dass der Kindsvater sich zu wenig kümmere, aber dann an allem zu mäkeln hatten. Die Jacke hast du ihm angezogen? Wie kannst du nur? Aber ich weiß heute, wie schwer es sein kann, sich da zurück zu halten.

AO

Aber durch solches Verhalten fühlen sich viele Väter entmündigt, ziehen sich zurück, oder es kommt zu Streitereien, bei denen man oft auch schauen muss, ob die Sache diese rechtfertigt. Solange das Kindswohl nicht gefährdet ist, muss man die Entscheidungen des anderen vielleicht nicht gut finden, aber eben doch hinnehmen. Für ein Kind kann es durchaus bereichernd sein, wenn Dinge mal anders gemacht werden.

Hasenfenster

Wie wichtig ist denn ein Ehevertrag?

AO

Nicht jeder braucht einen Ehevertrag. Aber insbesondere, wenn Kinder kommen und einer die Kinderbetreuung schwerpunktmäßig übernimmt, sollte man sich beraten lassen und einen Ehevertrag machen, was den Unterhalt betrifft. 2008 wurde das Unterhaltsrecht geändert, und diese Neuerungen können große Auswirkungen haben.

Hasenfenster

Ich kenne das so, dass Alleinerziehende drei Jahre Unterhalt bekommen und dann wieder arbeiten gehen müssen. Es gibt nur noch Unterhalt für das Kind.

AO

In den ersten drei Lebensjahren des Kindes hat das Kind ein Recht darauf, von der Mutter betreut zu werden. Deshalb hat sowohl die verheiratete, als auch die unverheiratete Mutter einen Anspruch auf Unterhalt, ohne erwerbstätig sein zu müssen. Für die unverheiratete Mutter endet der Unterhalt danach. Die verheiratete Mutter hat danach noch einen Anspruch auf Betreuungsunterhalt, soweit sie aufgrund der Kindesbetreuung nur eingeschränkt erwerbstätig sein kann.

Das Kind hat Anspruch auf Unterhalt bis zum Ende der Ausbildung. Ab dem 18. Lebensjahr, sind übrigens beide Eltern unterhaltspflichtig. Vorher könnte man verkürzt sagen: einer betreut, einer zahlt Unterhalt.

Hasenfenster

Und der Vater (ich gehe jetzt mal von der klassischen Verteilung aus), zahlt so viel, wie er kann, darf aber einen bestimmten Betrag mindestens behalten.

AO

Ganz recht. Das nennt man Selbstbehalt.

Hasenfenster

Welchen Unterschied macht es denn, ob man sich scheiden lässt oder als unverheiratetes Elternpaar trennt?

AO

Bei verheirateten Paaren kann es auch noch einen Unterhaltsanspruch geben, wenn die Kinder nicht mehr betreut werden müssen. Wenn man lange verheiratet war, und ein Partner beruflich zurückgesteckt hat, um die gemeinsamen Kinder zu betreuen, wird bei einer Scheidung auch geschaut, was man mit der Ausbildung hätte verdienen könnte, hätte man diese Betreuung nicht übernommen und wäre nicht verheiratet gewesen. Dann muss noch Unterhalt gezahlt werden, auch wenn die Ehefrau vollschichtig erwerbstätig sein sollte, um diesen Nachteil auszugleichen. Nach dem alten Recht hätte sie eine „Lebensstandardgarantie“ gehabt, also einmal Chefarztgattin immer Chefarztgattin. Die gibt es nicht mehr. Heute steht ihr nur ein Unterhalt zu, wie sie ihn in ihrem Beruf verdienen würde, wenn sie nicht solange ausgesetzt hätte oder nur eingeschränkt erwerbstätig gewesen wäre. Das mag im Einzelfall bitter sein, trägt aber beispielsweise der Tatsache Rechnung, dass es immer häufiger Zweitfamilien gibt. Früher war für die neue Familie, oft einfach nicht genug Geld da.

Hasenfenster

Der Unterschied zu vorher ist also der, dass die Frau auch wieder arbeiten muss?

AO

Seit der Reform von 2008 muss die Ehefrau (auch ich bleibe hier mal bei der klassischen und eben häufigsten Rollenteilung) so viel arbeiten, wie es die Betreuung der Kinder zulässt, und wenn keine Kinder mehr da sind, muss sie alles tun, um ihren Lebensunterhalt alleine sicherzustellen. Im Zweifelsfall muss sie nachweisen, dass sie nichts findet. Ansonsten reicht eben nicht der Hinweis an den Richter, dass der Arbeitsmarkt schwierig sei. Es muss nachgewiesen werden, dass sich intensiv um Arbeit beworben wird. In gewissen Grenzen egal für was, und notfalls auch bundesweit. Ansonsten wird ein fiktives Einkommen angenommen, das von einem Unterhaltsanspruch abgezogen wird.

Hasenfenster

Aber was nutzt ein Ehevertrag?

AO

Wenn man gemeinsam die Entscheidung trifft, Kinder zu bekommen und auch entscheidet, dass einer von beiden sie betreut, will man hoffentlich, dass diese Betreuungssituation im Sinne der Kinder fortgeführt wird, auch wenn die Ehe scheitert. In einem Ehevertrag kann man beispielsweise festlegen, dass bis zum vollendeten 18. Lebensjahr der Kinder die Frau nur so viel arbeiten muss, wie es zum Zeitpunkt der Trennung der Fall ist. So nimmt man den Beweisdruck und viel Konfliktpotential aus einer möglichen Trennung.

Hasenfenster

Sie haben eben erklärt, dass man bei Scheidung gesetzlich verpflichtet ist, einen Anwalt einzuschalten, weil man gar nicht alle rechtlichen Folgen abschätzen kann. Jetzt frage ich mich so langsam, warum man nicht auch bei Heirat einen Anwalt konsultieren muss.

AO

Ich plädiere klar dafür, sich beraten zu lassen. Man geht ein Rechtsbündnis ein, und sollte sich über die Folgen klar sein. Leider hat ein Ehevertrag ein sehr schlechtes Image. Über Eheverträge mag man nicht reden… Irgendwie scheint da ohne Grund die Vorstellung zu herrschen, man würde über den Tisch gezogen. Bei einem Mietvertag oder Kaufvertrag beim Auto denkt das auch niemand. Da sieht jeder seinen Vorteil durch die Unterzeichnung eines Vertrages.

Hasenfenster

Klar, Verträge sind zum Vertragen da, aber nun ist ein Autokauf doch nicht so sehr mit romantischen Vorstellungen behaftet. Ich denke, man will nicht am Anfang schon über ein mögliches Ende nachdenken. Alle, die heiraten, glauben doch – hoffentlich – dass ihre Ehe ein Leben lang hält.

AO

Niemand ist davor gefeit. Man verändert sich, es gibt Verluste, Schicksalsschläge. Passieren kann es letztlich jedem, auch wenn es niemand hofft, wünscht oder beabsichtigt.

Hasenfenster

Kann man sich auch dagegen wehren, geschieden zu werden, wenn man anders als sein Partner noch einen Versuch starten möchte, zum Beispiel?

AO

Ohnehin muss ein Trennungsjahr eingehalten werden, in dem meistens schon viele Dinge, wie der Verbleib der Kinder, der Hausrat, die Ehewohnung und die Unterhaltsfrage geklärt werden. Danach ist eine einverständliche Scheidung möglich. Wenn nicht beide Partner die Ehe vor Gericht als gescheitert erklären, prüft das Gericht, ob sie es dennoch ist. Das Zusammenleben in einer neuen Beziehung könnte ein Anhaltspunkt dafür sein. Nach drei Jahren Trennung gilt die Ehe aber spätestens als gescheitert.

Hasenfenster

Jetzt mal provokant gefragt: Warum denn überhaupt heiraten, also im Hinblick auf eine mögliche Trennung?

AO

Wenn Kinder da sind, ist der Ehegattenunterhalt besser geregelt. Überhaupt fehlen bei unverheirateten Paaren auch etwa im Todesfall Versorgungsansprüche wie Witwenrente oder bei Scheidung Rentenanspruch. Außerdem haben beide Partner das Recht auf die Ehewohnung, egal, wem sie gehört oder wer sie gemietet hat. Man kann also nicht einfach aus dem Zuhause geworfen werden. Genauso beim Hausrat: Alles, was angeschafft wurde, gehört auch beiden. Was man mitgebracht hat, darf man allerdings auch wieder mitnehmen. Solche Fragen sind bei unverheirateten Paaren ungleich komplizierter.

Hasenfenster

Also müssen sie doch auch mit den Partnern ausklüngeln, wer was bekommt?

AO

Wenn sie sich nicht einigen können, macht das ggf. das Gericht. Allerdings versuche ich hier immer auf die Kompromissbereitschaft der Partner einzuwirken. Gerichtlich ist so etwas kaum lösbar, auch da bedarf es einer Einigungsbereitschaft der Parteien.

Hasenfenster

Wir haben noch nicht über das Sorgerecht gesprochen. In der Ehe haben das beide Eltern gemeinsam?

AO

Richtig. Sie müssen sich in den wesentlichen Belangen des Kindes abstimmen und einigen. Notfalls könnte auch innerhalb einer Ehe ein Richter zu entscheiden haben. Das kommt in äußerst seltenen Fällen vielleicht mal einer medizinischen Behandlungen vor, wenn es sehr unterschiedliche Meinungen gibt.

Hasenfenster

Bekommen denn immer noch meistens die Mütter das Sorgerecht bei einer Scheidung?

AO

Inzwischen ist es rechtlich so, dass bei einer Scheidung über das Sorgerecht nicht entschieden werden muss. Es bleibt als gemeinsames Sorgerecht bestehen, wenn nicht Gründe für eine andere Regelung sprechen. Das ist super, denn auch das führte oft zu unnötigem Streit. Auch das Umgangsrecht muss nicht gerichtlich geregelt werden.

Hasenfenster

Da kann man also einfach selbst eine Lösung finden?

AO

Wenn man das außergerichtlich schafft, ist es auf jeden Fall besser. Es gibt viele Hilfen wie Beratungsstellen, die z.B. auch Mediation anbieten. Da wird hinter den Konflikt geschaut, und so kann viel Streit aufgelöst oder sogar vermieden werden.

Hasenfenster

Was ist denn der Unterschied zwischen Umgangs- und Sorgerecht?

AO

Das Sorgerecht umfasst alle wichtigen Belange des Kindes. Zum Beispiel, welche Schule es besucht, medizinische Behandlungen oder auch den Wohnort. Es geht deshalb auch nicht, bei einer Trennung mit den Kindern einfach aus der Ehewohnung auszuziehen.

Hasenfenster

Man kann aber doch nicht jede Kleinigkeit abstimmen. Ich kenne Fälle, wo es darum geht, was ein Kind isst, wie viel fernsehen es darf und ähnliches.

AO

Das regelt das Umgangsrecht. Der Elternteil, bei dem das Kind gerade ist, darf solche Dinge des täglichen Lebens entscheiden. Und das geht den anderen nichts an. Das fällt vielen schwer, aber auch das sage ich wieder: So lange das Kindswohl nicht gefährdet ist, muss man das hinnehmen. Letztlich ist auch der oder die andere ein Elternteil, der das Beste für sein Kind möchte. Der Streit darüber schadet dem Kind im Zweifelsfall wahrscheinlich mehr, so dass man sich zumindest fragen muss, wie wichtig der Streitpunkt ist.

Hasenfenster

Die Kinder werden dann gerne als Figuren in einem Machtspiel genutzt.

AO

Die Übergaben sind häufig ein Problem. Da kommt einer zu spät oder macht es sonst wie kompliziert. Es kann helfen, wenn das Kind nach der Schule einfach zum anderen Elternteil geht und von dort aus nach dem Wochenende auch wieder zur Schule. So kommt dann auch das Kind mit seinen Aufgaben und Sorgen fürs Wochenende und bringt nicht eine Liste mit, was zu erledigen ist, die vielleicht als Gängelung empfunden wird. Umso weniger ständige persönliche Absprachen nötig sind, umso besser. Denn leider ist es selten, dass geschiedene Eltern konfliktfrei gemeinsam ihre Kinder erziehen. Und ganz entscheidend sind feste Regeln. Nicht immer neue Treffen ausmachen, sondern eine Regelmäßigkeit einhalten. Das birgt weniger Konfliktpotential und stattdessen klare Orientierung für alle Beteiligten.

Hasenfenster

Haben auch unverheiratete Paare gemeinsames Sorge-und Umgangsrecht?

AO

Gemeinsames Sorgerecht haben sie, wenn sie es beim Jugendamt haben eintragen lassen. Das bleibt dann auch nach der Trennung bestehen. Umgangsrecht besteht immer für den Elternteil, bei dem das Kind nicht lebt. Hier ist es egal, ob verheiratet oder unverheiratet. Es ist auch ein Recht der Kinder, zu beiden Eltern Kontakt zu haben. Deshalb wird hier kein Unterschied gemacht.

Hasenfenster

Einmal im Monat bieten Sie Infoabende zum Thema Trennung und Scheidung in der Frauenberatungsstelle Lilith an. Sind Frauen die Benachteiligten?

AO

Das will ich so pauschal nicht sagen, aber Frauen lassen sich oft einschüchtern, wenn sie zu hören bekommen, dass sie nix kriegen würden und dass sie ohne ihre Männer ein Niemand seien, gerade wenn eine wirtschaftliche Abhängigkeit besteht. Und Frauen wollen oftmals keinen Ärger machen wegen der Kinder und verzichten dabei auf manches, was ihnen zustände. Ich bin der Meinung, dass Information stark macht und dann auch eine Trennung besser laufen kann.

Hasenfenster

Bestärken Sie Ihre Mandanten in dem Wunsch nach Trennung?

AO

Man darf niemanden überreden. Es muss ein gewisser Leidensdruck vorhanden sein, der bei jedem anders ist. Ein Erstgespräch kann auch dazu führen, dass jemand sagt: „Das ist es mir nicht wert.“ Ich habe für mich den Anspruch, alle Mandantinnen und Mandanten gut zu begleiten und ihre rechtlichen Interessen zu vertreten.

Hasenfenster

Egal wie, man bleibt ein Leben lang verbunden, zumindest wenn Kinder da sind. Vielen Dank für dieses hoch interessante Gespräch.



Mehr zu Annette Ollesch und ihrer Arbeit unter www.familienrecht-hochstift.de