Neuer Verein für Paderborn
Der Verein Sugarkids ist relativ neu in Paderborn, denn er wurde erst im Frühjahr diesen Jahres gegründet. Er richtet sich an Familien, in denen ein Kind mit Diabetes lebt. Die Krankheit hingegen ist nicht neu, allerdings betrifft sie zunehmend mehr Menschen und immer mehr Kinder. Mit Beratungen, Freizeitangeboten und dem Gefühl, nicht allein zu sein, macht Sugarkids ein wertvolles Angebot. Diabetesberaterin Rita Auffenberg hat den Verein mit gegründet und begleitet bei ihrer Arbeit in der Paderborner Kinderklinik St. Louise seit mehr als 15 Jahren betroffene Familien. Wir trafen sie zum Gespräch über diese Krankheit, die alle zu kennen glauben und über die man dann doch oft viel zu wenig weiß.
Der Verein Sugarkids hat noch keine sehr lange Geschichte, obwohl Diabetes bei Kindern nichts Neues ist. Warum hat man jetzt die Notwendigkeit gesehen?
Es wird eine ständige Zunahme des Diabetes beobachtet. Vor allem sind Kinder unter 6 Jahren immer häufiger betroffen. Viele Eltern wünschen sich einen Austausch untereinander und eine Möglichkeit, dass Kinder in Kontakt zu anderen Betroffenen kommen. Mit Gründung des Vereins können wir dieses leichter ermöglichen.
Diabeteszentrum in Paderborn
Ich bin auf die Sugarkids gestoßen, als ich mit meinem Kind in die Kinderklinik musste. Mir fiel auf, dass dort offenbar sehr viele Kinder mit Diabetes waren, die mit ihren Eltern angeleitet wurden, um mit der Krankheit umzugehen.
Die Kinderklinik St. Louise ist Schulungszentrum DDG und es gibt eine Ambulanz, in der Kinder und Jugendliche bis zum 21. Lebensjahr betreut werden können.
Wie sind sie zu diesem Beruf gekommen?
Ich bin gelernte Kinderkrankenschwester und habe auch schon während meiner Ausbildung Kinder mit Diabetes betreut. Mir wurde ganz schnell klar, dass dies ein Bereich sein könnte, indem ich später tätig sein möchte. Es ist eine sehr dankbare Aufgabe diesen Familien bei der Bewältigung der Erkrankung zu unterstützen. Als 1989 Dr. Wolf als Diabetologe an unsere Klinik kam, übernahm er den Bereich Diabetes mit dem Ziel ein Schulungszentrum aufzubauen. Dazu mussten bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden, u.a. der Nachweise einer Diabetesberaterin, und so bin ich zu der Weiterbildung gekommen.
Ich weiß, dass der Verein viele tolle Ideen für Aktivitäten hat, aber natürlich noch in der Aufbauphase ist. Welche Angebote gibt es aktuell bereits?
Alle acht Wochen bieten wir ein festes Treffen für die Familien mit Diabeteskindern unter acht Jahren an. Bei gutem Wetter findet das auf dem Kapellenhof in Borchen statt, bei schlechtem Wetter zur Zeit noch in der Klinik.
Autoimmunerkrankung Diabetes – zwei Typen
Lassen Sie uns bitte ein wenig über die Krankheit an sich sprechen, denn wahrscheinlich ist das, was ich darüber zu wissen glaube, eine Mischung aus Halbwissen und Halbwahrheiten. Was bedeutet Diabetes eigentlich?
Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung. Diese nehmen allgemein sehr zu in den letzten Jahren. Neben Diabetes beobachtet man auch die Zunahme an Hashimoto, Zöliakie und Allergien. Wenn man an Diabetes erkrank, werden die Betazellen in der Bauchspeicheldrüse, die dafür zuständig sind, Insulin herzustellen, zerstört. Insulin wird aber gebraucht, um Zucker im Blut abzubauen. Ich erkläre den Kindern das immer so, dass Insulin wie ein Türöffner ist: Insulin schließt die Zelle auf, und der Zucker kann in die Zelle gelangen. Dadurch bekommen wir unsere nötige Energie. Fehlt das Insulin, verbleibt der Zucker im Blut und der Zuckergehalt steigt. Diese Überkonzentration versucht der Körper auszugleichen, indem der Zucker über den Harn ausgeschieden wird. Die Niere benötigt dafür viel Flüssigkeit, die dem Körper entzogen wird, und dieser Flüssigkeitsverlust verursacht Durst.
Soweit ich weiß, unterscheidet man zwei Typen von Diabetes? Worin besteht der Unterschied?
Den Typ 1 Diabetes beobachtet man vorwiegend bei Kindern und Jugendlichen. Es besteht eine angeborene Bereitschaft zu dieser Krankheit. Irgendwann, und eben inzwischen in immer jüngerem Lebensalter, beginnt die Zerstörung der Bauchspeicheldrüsenzellen. Beim Typ-2-Diabetes, früher als Altersdiabetes benannt, beobachtet man ebenfalls eine Zunahme bereits bei Jugendlichen. Hier spielen Faktoren wie Übergewicht und Bewegungsmangel eine große Rolle.. Es gibt eine besondere Form der Neugeborendiabetes, aber diese stagniert zumeist nach etwa einem Jahr.
Kann man also sagen, dass man Typ 2 verhindern kann, Typ 1 nicht?
Vereinfacht gesagt schon. Typ-1-Diabetes ist vorbestimmt. Man kann das Auftreten nicht verhindern. Dahingegen kann man den Typ-2-Diabetes durch Veränderung der Lebensgewohnheiten positiv beeinflussen.
Typ-1-Diabetes bleibt ein Leben lang
Wenn wir bei Kindern vor allem von Typ 1 sprechen, kann man also feststellen, dass das einfach Schicksal ist?
So ist es leider. Das ist etwas, was diese Krankheit auch für Eltern besonders schwer macht. Die Zellen sind irreversibel zerstört. Man kann diesen Verlauf nicht aufhalten oder umkehren. Das machen wir den Familien immer von Anfang an ganz deutlich, weil es oft Menschen gibt, die damit trösten wollen, dass das doch bestimmt wieder weggeht. Das tut es leider nicht. Wichtig ist es auch den Eltern zu vermitteln, dass es nach Diagnose eine sogenannte Remissionsphase gibt, bei der sich die verbliebenen Bauchspeicheldrüsenzellen soweit regenerieren, dass tatsächlich eine Verbesserung eintritt. Das ist messbar, und es muss dann auch weniger Insulin gegeben werden. Das ist aber nur eine Übergangsphase, die unterschiedlich lange anhält. Danach sterben auch diese Zellen ab.
Gründe für Diabetes
Eine bittere Wahrheit, die die Betroffenen verdauen müssen. Das kann doch zu schlimmen Selbstvorwürfen führen, aber wenn ich Sie recht verstanden habe, kann man ja nix machen, um diese Krankheit zu verhindern. Ich dachte immer – offenbar recht naiv – dass falsche Ernährung und eben zu viel Süßes zu Diabetes führten.
Fehlernährung begünstigt den Typ 1 nicht. Beim Typ 2 sieht das anders aus.
Wir haben aber jetzt mehrfach angesprochen, dass die Anzahl der Fälle bei Kindern zunimmt. Wie kommt das?
Genau das weiß man nicht genau, ebenso wenig, was letztlich zu der Krankheit führt. Wohlgemerkt, sprechen wir hier gerade immer über Typ 1. Umweltfaktoren spielen eine große Rolle, aber auch evtl. der veränderte Lebensalltag unserer Kinder. Sie sind weniger draußen und haben weniger Kontakt mit Dingen, die ihr Immunsystem stärken würden. Früher hatte man beispielsweise mehr Tierhaltung. Aber das sind letztlich bisher auch nur Theorien.
Diabetes bei Kindern erkennen
Wie erkennt man Diabetes bei Kindern?
Es sind zwei Auffälligkeiten, die zum Arztbesuch führen und dort schnell zu einem Verdacht führen. Die Kinder haben übermäßig viel Durst wegen des stark erhöhten Flüssigkeitsbedarfs. Das geht zusammen mit vielen Toilettengängen, weil der Körper versucht, den Zucker auszuschwemmen. Außerdem kann man eine Gewichtsabnahme beobachten, denn das Ganze ist sehr zehrend, und es werden Reserven aufgebraucht. Die kleinen Kinder sind meistens quengelig, einfach weil sie starken Durst haben.
Und wie stellt man die Diagnose?
In der Arztpraxis wird ein Bluttest gemacht, und dabei erkennt man dann den extrem hohen Zuckergehalt im Blut.
Könnte man eigentlich vorab herausfinden, ob jemand die Anlage zu dieser Form von Diabetes in sich trägt?
Ja, das kann man schon, aber wir raten davon immer ab. Manchmal möchten Eltern beispielsweise Geschwister untersuchen lassen, aber es würde ja nichts nützen …
… weil man der Krankheit ohnehin nicht entgehen kann.
Genau.
Umgang mit Diabetes bei Kindern
Nun kennt man es, dass Diabetes-Kranke Insulin bekommen, in welcher Form auch immer. Das ist offenbar die gängige Methode.
Ja, beim Typ 1 ist es immer vonnöten, Insulin von außen zuzuführen, da der Körper es nicht mehr ausreichend selbst herstellt.
Was würde passieren, wenn man das unterließe?
In letzter Konsequenz würde der Blutzucker immens steigen und es käme zu einer Übersäuerung, also zu einer ph-Verschiebung im Blut. Dies ist eine lebensbedrohliche Situation, die zum Koma führt. Das kommt gottseidank heute kaum noch vor. Als ich in meinem Beruf anfing, habe ich einige Notfälle erlebt, aber inzwischen ist das die absolute Ausnahme.
Trotzdem ist das sicherlich eine große Angst und Sorge der Eltern.
Natürlich. Viele Eltern haben große Bedenken, dass sie eine Überzuckerung oder Unterzuckerung falsch einschätzen oder gar übersehen könnten. Gerade kurz nach der Diagnose berichten viele von schlaflosen Nächten, weil sie immer wieder nach dem Kind geschaut haben. Umso wichtiger ist es, dass sie gut mit der Krankheit umgehen und sich mit anderen Betroffenen austauschen können.
Was muss man lernen, um im Alltag gut damit zu leben? Ich stelle mir die Einschränkungen und damit die Lebensumstellung enorm vor.
Es ist schon eine immense Herausforderung, aber es ist glücklicherweise möglich. Die Kinder kommen für einige Tagen mit ihren Eltern stationär in die Klinik. Dort wird in täglichen Schulungseinheiten alles besprochen, was wichtig für die Versorgung ist, wie z.B. das Blutzuckermessen.
Mit diesen Pieksern, richtig? Haben die eigentlich auch einen offiziellen Namen?
Wir nennen sie Stechhilfe. Außerdem muss man Kohlenhydrate berechnen, um die jeweils passende Menge an Insulin zu geben. Und natürlich soll man auch sicher werden, um bei Schwankungen adäquat zu reagieren.
Das passiert nicht mehr mit Spritzen, oder?
Dafür gibt es einen Pen, mit dem das recht unkompliziert funktioniert. Die Kinder nehmen das alles meistens auch sehr gut hin und machen prima mit.
Früher durfte man dann ja vieles nicht essen, aber heute gibt man einfach gegebenenfalls mehr Insulin?
Tatsächlich hat man damals die Mahlzeiten an die Insulindosis angepasst und jetzt macht man das umgekehrt.
Ich stelle mir das insbesondere bei den Unter-6-Jährigen, von denen Sie sprachen, kompliziert vor. Die Mahlzeiten sind weniger regelmäßig und schwer berechenbar.
Diese Altersgruppe bekommt grundsätzlich eine Insulinpumpe, also ein kleines Gerät, das fest verbunden wird und über einen Katheder unter der Haut kontinuierlich Insulin abgibt, so dass der Grundbedarf gewährleistet ist. Zu den Mahlzeiten gibt man manuell die dazu benötigte Insulinmenge ab.
Diabetes in Kita und Schule
Nun bedeutet das sicherlich auch neue Herausforderungen bei der Betreuung in Kitas und in der Schule.
Diese Familien sind auf die Mithilfe der Erzieher/innen und Lehrer/innen angewiesen. Bei den Kitas klappt das in aller Regel sehr gut. In den Schulen wirft ein Kind mit Diabetes leider immer wieder große Probleme auf.
Meistens werden ja keinerlei Medikamente durch Betreuer verabreicht, weil die Haftungsfrage nicht geklärt ist.
Auch Lehrer/innen sind über ihre Berufshaftpflicht abgesichert. Es liegt ja normalerweise kein Vorsatz vor, und sollte tatsächlich etwas schief gehen, tritt die Versicherung ein. Aber natürlich möchte niemand verklagt werden.
Ich glaube, davon würde sich der Ruf vielleicht auch nicht erholen, wenn man komplett frei gesprochen würde…
Hilfreich ist ein Antrag auf Eingliederungshilfe, zumindest in den ersten Monaten, bis das Kind auch im Schulalltag mit seiner Erkrankung allein zurecht kommt. Danach wäre es wünschenswert, Unterstützung durch die Lehrperson zu bekommen. Bei der Genehmigung der Eingliederungskraft ist die Kostenfrage zu klären: Übernimmt diese der Kreis aufgrund des Teilhabegesetzes, das es eben auch diesen Kindern ermöglichen muss, zur Schule zu gehen, oder ist es Sache der Krankenkasse, da es sich um eine medizinische Maßnahme handelt? Dazu führen wir oft und viele Gespräche.
Aber wie kann es denn ohne eine Inklusionskraft überhaupt gehen?
In dem Falle würde eine Pflegekraft in den Pausen extra kommen, um nach dem Kind zu sehen.
Und bei Klassenfahrten?
Theoretisch ist es möglich, dafür eine Begleitung zu stellen, aber ich habe noch nicht erlebt, dass die bewilligt wurde.
Das alles sind also Probleme, bei deren Bewältigung der Verein berät und unterstützt?
Genau. Die Belastung ist ohnehin groß, und da braucht man Hilfe, um Steine aus dem Weg zu räumen.
Wie gehen Kinder mit Diabetes um?
Wie gehen die Kinder mit ihrer Krankheit um? Wie kommen sie damit zurecht?
Sehr unterschiedlich. Manchmal wird es in der Pubertät schwierig.
Ich habe gesehen, dass sie nicht nur Austausch für Eltern anbieten, sondern auch für die Kinder und Jugendlichen. Warum ist eine spezielle Sportgruppe sinnvoll? Grenzt man sich dabei nicht unnötig ab?
Auch für die Kinder kann es sehr befreiend sein, wenn sie erfahren, dass es anderen genau wie ihnen geht. Es ist manchmal ganz berührend zu sehen, wie die Kleinen an den anderen die Insulinpumpe entdecken und dann ganz freudig zeigen, dass sie sowas auch haben.
Angebote der Sugarkids
Aber man muss nichts Spezielles beachten, wenn man sich sportlich betätigt?
Doch schon. Man muss bei der Insulingabe auch die körperliche Betätigung bedenken, deshalb ist es oft leichter, wenn man geschulte Betreuer/innen hat. Die Kinder wollen oft gar nicht in Selbsthilfegruppen, aber den Eltern ist es sehr wichtig, damit sie eben ihre Probleme mit anderen besprechen können. Es ist nicht ganz leicht, insbesondere die Jugendlichen zu erreichen. Deshalb möchten wir ihnen attraktive Freizeitangebote machen. Allerdings stehen wir damit noch am Anfang. Es gibt viele Ideen, aber umsetzen können wir noch nicht alle.
Geld ist ja gerne ein Thema bei so etwas. Wie finanziert sich die Arbeit der Sugarkids?
Über die Organisation des Vereins können wir Spenden sammeln und hoffen natürlich, dass darüber unsere Angebote zum Teil finanziert werden können.
Sie machen auf mich einen sehr engagierten Eindruck, wie eben jemand, der genau den richtigen Beruf für sich gefunden hat. Was mögen Sie an Ihrer Arbeit?
Unsere Diabetes-Ambulanz ist die einzige in einem recht großen Gebiet. Damit erleben wir viele und viele unterschiedliche Fälle. Wir begleiten die Familien oft über eine lange Zeit. Bis die Kinder 21 Jahre alt sind, können sie alle acht Wochen zu uns kommen. Diese lange Begleitung und der Umgang mit den Familien motiviert mich sehr. Das ist häufig ein emotionaler Abschied, wenn die Patienten dann zum letzten Mal bei uns sind.
Wer mehr über den Verein erfahren möchte oder die Arbeit mit Spenden unterstützen kann, findet den Kontakt hier.