Ich fand Schulsport schlimm und oft demütigend, hatte an Sportvereinen keinen nachhaltigen Spaß und mache heute auch nur Sport, weil ich verstanden habe, dass das irgendwie sein muss. Was ist da schief gegangen? Bei euch scheint das ja anders zu sein.
Ich bin auch nicht immer gerne zum Schulsport gegangen. Mir hat das schon Spaß gemacht, aber im Verein noch mehr, weil es da mehr Raum zum Ausprobieren gab. Ich mochte den Druck nicht. Generell haben mir immer besonders die Ballspiele Spaß gemacht. Wenn es dann an die Reckstange ging, war ich weniger begeistert.
Letztlich liegt es doch wie meistens an den Personen, die einem etwas vermitteln wollen. Wenn ein Lehrer, eine Lehrerin oder die Übungsleiter Lust haben zu motivieren, dann wird der Funke auch überspringen. Wenn man nur ein Programm abarbeitet, kann auch Sport einfach nur Pflichtübung werden. So wie wir das mitbekommen, machen die Lehrer das heute super. Früher hatte Schulsport meistens auch noch einen ganz anderen Stellenwert.
Ich erinnere mich an den Lehrerspruch: Die Guten auf diese Seite, die Mädchen auf die andere.
Oh ja, das Auswählen der Gruppen bei Ballspielen war für mich als Brillenträgerin, die zum Sport die Brille absetzen musste, immer eine ganz tolle Erfahrung.
Ja, das Gruppenbilden mit Wählen ist echt keine glückliche Wahl, aber da gibt es inzwischen so viele andere Ideen.
Zum Beispiel?
Ich stelle die Kinder manchmal nach Größe sortiert auf, und dann kommt jede/r zweite in die eine, alle anderen in die andere Gruppe.
Oder eben per Auslosung. In meinen festen Kursen habe ich Namenskärtchen von allen Kindern, und dann werden die Teilnehmer einer Gruppe gezogen.
Es gibt durchaus Stimmen, die befürworten, den Schulsport abzuschaffen. Haltet ihr das für sinnvoll? Was bringt schon diese kurze Zeit in der Schule? Dann doch lieber im Verein, oder?
Nein, nein, nein, Schulsport ist sehr wichtig. Inzwischen ist ja auch die Benotung verändert worden. Es geht nicht mehr nur um das Erzielen einer Leistung, sondern auch um Technik, um persönliche Fortschritte. Jede Studie, die zu diesem Thema gemacht wurde, kam immer wieder zu dem gleichen Ergebnis: Die motorische Kompetenz von Kindern lässt immer weiter nach. Dem muss entgegen gearbeitet werden.
Ich hake mal ganz provokant nach: Warum? Aus gesundheitlichen Gründen?
Ja, natürlich, aber nicht nur. Auf dem Weg hierher habe ich einen Werbespruch gelesen: „Shopping hilft, die Welt zu verbessern“. Ich finde, man kann auch sagen: „Bewegung hilft, die Welt zu verbessern.“ Wer sich bewegt und fit hält, baut oft auch Aggressionen ab. Im sportlichen Spiel oder Wettkampf lernt man Fairness, trainiert Sozialverhalten und erwirbt damit eben nicht nur motorische, sondern auch emotionale Kompetenzen.
Fällt euch denn auch auf, dass sich die Kinder in diesen Dingen verändern?
Ganz bemerkenswert ist zum Beispiel, dass der freie Umgang mit Dingen gehemmt ist. Wenn ich Sportgeräte zur freien Verfügung in die Halle gebe, sind die Kinder oft orientierungslos. Sie fragen: „Was sollen wir damit machen?“ und ich antworte ihnen: „Was kannst du damit machen?“
Da habe ich neulich etwas ganz ähnliches gelesen, nämlich, dass Spielzeug oft zu viele Funktionen mitbringt. Man muss sich nicht mehr vorstellen, dass eine Puppe spricht oder ein Feuerwehrauto die Sirene tönen lässt, weil sie das schon tatsächlich machen. Eltern halten ihre Kinder darüber hinaus, oft auch unbewusst, dazu an, ein Spielzeug in einer bestimmten, „richtigen“ Art und Weise zu benutzen. Dabei ist das fantasievolle Zweckentfremden ja oft am besten. Da kann es eben auch egal sein, wenn das Bausteinhaus gar kein Dach hat oder die Dachteile plötzlich zu Rutschen werden.
KARIN::
Na klar. Einer meiner Schwerpunkte als Übungsleiterin ist der Umgang mit Alltagsmaterialien: Wäscheklammern, Bohnenbecken, Tannenzapfen, Korken, Schwämme. Ich teile die Überzeugung, dass man seine Welt eben auch im wahrsten Wortsinne „begreifen“ muss. Gerade für Babies und Kleinkinder ist die Materialerfahrung spannend und wichtig.
Ihr arbeitet viel und eng mit OGS-Einrichtungen, also Offenen Ganztagsschulen, zusammen. Wie läuft das ab?
Übungsleiter aus unserem Verein bieten in der OGS Arbeitsgemeinschaften, also AGs, an. Das machen wir beispielsweise in Zusammenarbeit mit der Overberg-Grundschule. Zusammen mit den Lehrern und Lehrerinnen wird dann entschieden, was sinnvolle und gewünschte Inhalte sind: Vielleicht geht es um allgemeine Bewegungsangebote, aber auch Fußball ist immer sehr beliebt.
Wir möchten diesen Bereich gerne noch weiter verstärken, denn der Schulalltag hat sich vor allem zeitlich sehr verändert. Viele Kinder kommen erst am späten Nachmittag oder frühen Abend nach Hause. Da bleibt oft gar keine Zeit für ein regelmäßiges Engagement im Sportverein.
Außerdem gibt es immer mehr Konkurrenzangebote. Die Kinder wollen oder sollen nicht nur Sport machen, sondern eben auch Musik und andere Dinge. Oft kommt dann die Bewegung zu kurz.
Ein Musiklehrer würde mir vermutlich das Gleiche andersrum sagen.
Das mag sein. Natürlich sollen Kinder ihren verschiedenen Hobbies nachgehen, aber ich halte Bewegung eben doch für ganz herausragend wichtig.
Sport vereint ja auch ganz verschiedene Elemente. Man kann Bewegung hervorragend mit Musik und Tanz verbinden. Man kann sich aber auch zu einem Gedicht bewegen. Man kann Sprache fördern. So sind Präpositionen immer wieder Thema: Was ist „vor“, was ist „hinter“ und so weiter. Wir bieten auch Psychomotorik-Gruppen an, zu denen Kinder kommen, die vom Arzt eine spezielle Verordnung zur Bewegungsförderung haben.
Psychomotorik klingt nach einer Krankheit, wenn ich ehrlich bin.
Wir sind keine Therapeuten. Mir ist der Begriff „Bewegungsförderung“ lieber. Die Kinder sind nicht krank, sondern brauchen einfach mehr und enger betreute Förderung in Sachen Motorik. In diesen Gruppen sind dann immer zwei oder drei Übungsleiter, wo sonst einer wäre. Hier muss Bewegung erst mal angeleiert werden. Einher damit gehen dann die Förderung der Ich-Kompetenz, also “ich kann etwas“ oder auch der Sachkompetenz, also „wie gehe ich mit bestimmten Dingen um“.
Und dazu werden auch andere Kompetenzen gefördert. Ist es vielleicht nicht doch wichtig, mal beim Gruppenbilden der Letzte zu sein, damit man Frustrationstoleranz aufbaut?
So habe ich das noch nie gesehen … nein, ich glaube, das lernt man auch anders. Sport darf auch Selbstzweck sein, und es muss nicht immer um Leistung gehen. Man lernt ebenso gut Verlieren, wenn man Mannschaftssport macht. Wichtig finde ich, dass die Übungsleiter das passend begleiten. Wenn ein Kind eine Sache nicht gut kann, kann es vielleicht eine andere. Darauf muss man sie ein wenig aufmerksam machen.
Aber es geht nicht nur um negative Sporterlebnisse…
Natürlich nicht! So oft habe ich unerwartete Erfolgserlebnisse. Neulich habe ich mit einer Gruppe ein neues Ballspiel entwickelt, und ein Kind, das sonst eher Probleme beim Werfen hat, konnte plötzlich richtig punkten. Das war so toll.
Auch mit Kindertagesstätten, also Vorschulkindern, kooperiert ihr. Von dir, Caro, weiß ich, dass du regelmäßig in der Kita „Schwalbennest“ bist.
Genau. Die besuche ich einmal pro Woche und mache mit einer Gruppe Kindern Sport. Karin begleitet eine Gruppe in der Kita „Unter dem Regenbogen“. Beides sind zertifizierte Bewegungseinrichtungen („Zertifizierter Bewegungskindergarten“) für Kinder, und dazu gehört immer auch eine Kooperation mit einem Sportverein.
Das sind aber nicht die beiden einzigen in Paderborn?
Nein, aber das sind die, mit denen wir zurzeit kooperieren. Es gibt weitere, die von anderen Vereinen betreut werden.
Wie setzten sich die Gruppen dort zusammen?
Das ist ganz unterschiedlich und wird mit der Kita-Leitung abgesprochen. Mal ist es eine bestimmte Altersgruppe, mal eine Interessensgruppe, mal sind es Kinder, die vielleicht noch mehr Bewegung brauchen als andere.
Und die Kinder dieser Kitas haben auch Vorteile, wenn sie dann zu euch zusätzlich in den Verein kommen, richtig?
Solange die Kinder in der Kita sind, zahlen sie u. a. in der KiSS nur den Abteilungsbeitrag, aber nicht den Mitgliedsbeitrag.
Die Kitas leisten übrigens auch umgekehrt einen Beitrag zur Vereinsarbeit, indem sie zum Beispiel unsere Veranstaltungen mitgestalten. Am 21. September ist wieder SC-Grün-Weiß-Kindertag, wo sich alle Abteilungen vorstellen.
Welche Angebote für Kinder und Familien habt ihr abgesehen von den Zusammenarbeiten mit OGS und Kita?
Sobald ein Kind krabbeln kann, kann es hierher kommen. Das beginnt in der Abteilung Eltern-Kind-Turnen mit der Pampersriege bzw. dem Kükenclub. Dabei verfolgen wir zwei Ansprüche. 1. Sollen die Kinder etwas selbst bewältigen können. Die Bewegungslandschaften sind also auf das Vermögen der Kinder abgestimmt. Es ist uns aber 2. ganz wichtig, dass sie hier etwas gemeinsam mit ihren Eltern erleben.
Das nervt mich ja immer, wenn beim Eltern-Kind-Turnen die Mamis am Rand stehen und quatschen.
Die Kinder machen einfach gerne nach. Da sollte man dann auch mit gutem Beispiel voran gehen und krabbeln oder hüpfen… Hier kommen die Alltagsmaterialien auch viel zum Einsatz. Man kann so viel mit schlichten Wollfäden machen!
Du hattest mir schon einmal von einem integrativen Angebot erzählt. Gibt es das noch?
Ja, der Kükenclub ist in einer Gruppe so ausgelegt, dass auch behinderte Kinder mitmachen können. Die Übungsleiterin ist besonders geschult, so dass hier Kinder mit Handicap von 1 bis 3 Jahren teilnehmen können. Leider hat diese Einladung bisher noch niemand wahrgenommen.
Wo wir hier sitzen, werden gerade die Kinder von den „Powermäusen“ abgeholt. Was verbirgt sich dahinter?
Das Angebot richtet sich an 2 bis 3jährige. Ursprünglich wurde es als eine Art „Kita-Training“ eingerichtet. Ein- bis dreimal pro Woche kommen die Kinder vormittags hierher und werden sportpädagogisch betreut. Sie treffen auf Gleichaltrige, lernen, sich von ihren Eltern zu lösen und erleben ein kombiniertes Kindergarten- und Sportangebot. Ihnen wird ein nicht angeleitetes Bewegungsangebot gemacht.
Wie viele Kinder sind in einer Gruppe?
Zwölf Kinder und zwei Betreuer.
Und was machen dann die Kindergarten-Kinder ab 3 Jahren?
Die können zum Mini-KISS, also zur Mini-Kindersportschule. Auch hier sind die Kinder ohne Eltern und werden von einem Übungsleiter und einem Helfer betreut. In jeder Stunde wird ein besonderer Schwerpunkt gesetzt, bei dem spielerisch Bewegungsangebote gemacht werden. Kinder bekommt man oft über Bilder.
Dazu brauche ich ein Beispiel.
Das Thema ist zum Beispiel „Feuerwehr“. Da wird ein Kuscheltier in die Sprossenwand gesetzt, dass gerettet werden muss, aus Seilen werden Schläuche und so weiter.
Oder der Schwerpunkt lautet „Springen“, dann fliegen wir mit ausgebreiteten Armen nach Australien und werden alle zu Kängurus.
Wo Mini-KISS ist, ist KISS nicht weit.
Hier wird die KISS für 5 bis 9jährige fortgeführt. In Altersklassen eingeteilt, arbeiten wir sportartübergreifend und wollen den Kindern eine gute und breite motorische Basis geben. Zum Ende hin können die Kinder dann nach Neigung auswählen. Ziel ist es ja, sie dann möglichst für eine Abteilung unseres Vereins zu begeistern und zu gewinnen.
Das haben wir uns übrigens nicht alles ausgedacht, sondern dahinter steht ein bundesweites Konzept.
Aber KISS findet zweimal pro Woche statt. Das bindet dann tatsächlich viel Zeit.
Das bekomme ich oft zu hören, aber man muss eine Entscheidung treffen. Wenn man sein Kind ausführlich motorisch fördern möchte, ist das ein richtiges Angebot.
Und dann kann man nicht immer mal ausfallen lassen? Persönlich mag ich es nicht, wenn man einen festen Wochentermin hat und dann nur hingeht, wenn man gerade Lust und Laune hat.
Das sehe ich auch so. Hier sollten die Eltern wieder ein gutes Vorbild abgeben und auch solche Vereinstermine als Pflichttermine sehen.
Apropos Vorbild: Gibt es denn auch Angebote speziell für Eltern?
Jede Menge. Unser Kursheft ist schon erschienen, und die neuen Kurse starten ab dem 2. September. Eine Kollegin bemerkte neulich so schön, dass wir alles von A wie Aerobic bis Z wie Zumba dabei haben. Bei Jugendlichen von zehn bis zwölf ist momentan übrigens „Zumbatonic“ sehr beliebt. Speziell für Mütter gibt es den Kurs „Fit nach der Schwangerschaft“, zu dem die Kleinen dann auch mitkommen. Das ist immer ein sehr süßes Bild.
Um den Kreis zu schließen: Wie verhindert ihr, dass die Kinder die Lust an der Bewegung verlieren?
Ich habe diesen Beruf gewählt, weil ich Leuten Spaß am Sport vermitteln wollte, und ich glaube, da ich selbst diesen habe, kann ich das auch überzeugend weiter geben.
Welche „Hausaufgaben“ gebt ihr den Eltern mit?
Sie sollen Vorbild sein und den Kindern erlauben, ihrem Bewegungsdrang nachzugeben.
Na, dann mal los. Das Wetter stimmt ja gerade auch. Danke für das nette und interessante Gespräch.