Lehrreich und Lustig Tischmanieren lernen
„Mund zu beim Kauen“, „ab 5g im Mund wird’s undeutlich“, „setz dich richtig hin“ – ich bin sicher, alle Eltern haben diese oder ähnliche Sätze in ihrem täglichen Repertoire. Alle anderen flunkern oder haben’s halt total drauf. Meine Neugier sprang daher an wie ein Kettenhund, als ich erfuhr, dass seit ein paar Monaten Kniggekurse für Kinder in Paderborn angeboten werden, noch dazu unter dem Versprechen „lehrreich und lustig“.
Es war so ein Plan-B-Morgen, an dem ich mich mit Jennifer Peters verabredet hatte. Solche Tage kennt ihr alle: Alles ist gut durchgeplant, viele Eventualitäten wurden bedacht, aber dann bringt eine Kleinigkeit die gut geölte Alltagsmaschinerie ins Stocken und man muss kurzfristig vollkommen spontan umdisponieren… Jedenfalls wäre ich fast zu spät gekommen, und das wäre an dem Morgen ja mal so richtig peinlich gewesen, schließlich wollten wir uns über gutes Benehmen unterhalten, wozu Unpünktlichkeit ganz sicher nicht zählt. Streng hatte ich sie mir nämlich insgeheim doch vorgestellt, die Knigge-Trainerin, die Fachfrau für Manieren. In dieser Hinsicht jedoch war Frau Peters eine echte Enttäuschung, denn sie ist ganz und gar herzlich, offen und grundsympathisch. Und so verflog meine anfängliche Skepsis gegenüber ihren Kniggekursen für Kinder ganz rasch und ich bin überzeugt, dass man sich bei ihr „lehrreich und lustig“ mit dem Thema beschäftigt. Wir werden es ganz sicher bald ausprobieren!
Freiherr von Knigge
Warum haben Sie Ihre Kurse unter den Titel „Knigge“ gestellt? Das weckt bei mir nicht ungebrochen sympathische Vorstellungen…
Das kann ich verstehen, aber immerhin kann fast jeder etwas mit dem Namen anfangen. Um die Leute neugierig zu machen und zumindest ansatzweise in die richtige Richtung zu führen, ist der Titel ganz hilfreich.
Zuallererst möchte ich gerne mal nachfragen, was das eigentlich für einer war, dieser Herr Knigge. Ein Adliger, oder?
Genau, Adolph Freiherr von Knigge lebte im 18. Jahrhundert. Als Adliger bewegte er sich natürlich in vornehmen Kreisen und auch bei Hofe. Seine Erziehung hatte ihn gelehrt, sich dort angemessen und sicher zu benehmen. Er schrieb ein Buch über die richtigen Umgangsformen der Menschen untereinander, das man noch heute als den „Knigge“ kennt. Allerdings muss man wissen, dass es Knigge nicht darum ging, Menschen arrogant zu belehren oder zu erziehen. Er lebte in einer von Schichten und Klassendünkel geprägten Gesellschaft und wollte erreichen, dass auch die Schichten untereinander miteinander auskommen könnten. Nach seinem Tode wurde sein Buch allzu oft umgeschrieben und hat daher eine eigentlich falsche Aussage bekommen.
Wenn er im 18. Jahrhundert gelebt hat, passt das natürlich zu Aufklärung und französischer Revolution.
Ganz genau. Zu gutem Benehmen gehört nach seinem Verständnis nicht das einfache Befolgen von Regeln, sondern eben vor allem der gegenseitige Respekt. Das bedeutet also auch, dem anderen den ein oder anderen kleinen Unfall nachzusehen und sogar darüber hinweg zu helfen. Dazu gibt es eine schöne Geschichte, in der der König einen Bauern zum Festmahl einlud, um ihn zu ehren. Der Bauer kannte sich natürlich nicht mit den Tischmanieren bei Hofe aus. Auf dem Tisch stand ein Wasserschälchen zum Reinigen der Hände zwischen den einzelnen Gängen. Der Bauer in seiner Unwissenheit trank aber daraus. Während sich einige der Tischgesellschaft darüber amüsierten, setzte der König selbst das Schälchen zum Trinken an, um dem Bauern, der ja sein Ehrengast war, die Peinlichkeit zu ersparen. So hat sich Knigge das gedacht.
Verlorene Esskultur
Also war der feine Herr gar kein Snob, sondern sogar ein Menschenfreund und Aufklärer. Aber trotzdem lebte er in einer anderen Zeit, und als ich so über unser Gespräch vorab nachdachte, habe ich mich doch gefragt, ob man sowas heute noch lernen muss? Sollten wir nicht vielmehr froh sein, dass wir all die ganzen Formalien überwunden haben?
Ganz recht, vieles ist zurecht unnötig geworden. Zugleich aber fällt mir auf, dass uns so viel Esskultur verloren geht. Essen ist allzu oft nur noch Nahrungsaufnahme. Das finde ich schade.
Aber betrifft das Kinder denn auch? Bei denen läuft die Nahrungsaufnahme doch meistens noch ganz geregelt.
Auch da hat sich einiges verändert. In Kitas und Schulen passiert das Essen oft in Schichten, man muss leise sein, vielleicht sogar schnell. Das Familienessen gerät auch oft unter Zeitdruck und wird zur eiligen Angelegenheit. Wenn man mit Kindern essen geht, dann gibt es auch immer öfter Fast Food oder Selbstbedienung. Ich will da keinem einen Vorwurf machen, aber es wäre doch schön, wenn wir uns auf das Essen als gemeinschaftliches Erlebnis zurückbesinnen würden und zumindest hin und wieder etwas Besonderes daraus machten. Es braucht offenbar extra Aufwand, um das wieder zu erlernen. An der Stelle setze ich mit meinen Kursen an.
Haben Sie selbst Kinder? Ist das bei Ihnen anders?
Ich habe zwei Kinder, die 7 und 10 Jahre alt sind. Bei uns wird auch nicht jeden Tag aufwändig gekocht, detailreich gedeckt und gemeinsam in Ruhe gegessen. Aber wenn wir es dann so einrichten, genießen die Kinder das sehr. Zum Essen gehören dann auch gute Tischgespräche und Zeit füreinander.
Ich habe mal gelesen, dass ein erfolgreicher Kinderliedermacher auf die Frage, was er am schwersten fand, seinen Kindern beizubringen, antwortete: „Tischmanieren“. Ich konnte das sehr gut verstehen. Mir fehlt da einfach oft die Ausdauer für Konsequenz. Daher finde ich die Idee, Ihnen diese Erziehungsaufgabe abzugeben, richtig gut. Allerdings bin ich leicht skeptisch, ob Sie das an einem Nachmittag hinbekommen.
Die Kinder abgeben und perfekt zurück bekommen wird sicher nicht klappen. Aber wir machen einen Anfang und wecken die Lust auf mehr Esskultur. Das ist ein guter Anfang.
Nachhaltigkeit des Erlernten
Bekommen Sie Rückmeldungen, wie viel vom Erlernten es in den Familienalltag schafft?
Das ist doch einiges. Eine Mutter schrieb mir, dass ihr Sohn sich zu Hause gleich beschwerte, dass es dort keine Servietten gab. Mein Ziel ist es ja auch, den Kindern deutlich zu machen, warum man sich so benehmen sollte. Sie begreifen ganz gut, dass Schmatzen beispielsweise fürs Gegenüber eklig ist, weil sie das selbst auch nicht ansehen wollen.
Die Kinder werden also nicht dressiert, sondern sollen wirklich begreifen und lernen.
Genau. Ich zeige Ihnen aber auch, wie man das früher gelernt hat. Gerade sitzen, zum Beispiel, übte man tatsächlich mit einem Stock im Rücken. Das sind aber eher witzige Spielchen.
Frau vom (Hotel-)Fach
Woher wissen Sie das eigentlich alles? Wer hat Ihnen das beigebracht?
Ich bin gelernte Hotelfachfrau, habe später noch studiert und bin Hotelbetriebswirtin. Solche Dinge waren Teil meiner Ausbildung. In Hotels legt man noch sehr viel Wert darauf, dass man zuvorkommend und freundlich bedient wird.
Moment, hatten Sie dann tatsächlich Tischmanieren auf dem Stundenplan?
So direkt nicht, aber man übt in Gruppen Servieren und die anderen sind dann die Gäste. Da ergibt sich einiges. Idealerweise kommunizieren Gast und Kellner ja auch über bestimmte Gesten in manchen Situationen.
Da fällt es mir wieder ein. Ich habe mal gelernt, dass man mit dem Positionieren des Bestecks ausdrückt, ob es geschmeckt hat. Stimmt das?
Kursinhalte
Besteck auf 5 Uhr bedeutet „war lecker“, aber 7 Uhr heißt „eher nicht“.
Wie vielen Köchen ich wohl schon mit meiner Unwissenheit den Tag verdorben habe. Anderes aber fand ich tatsächlich sehr hilfreich. Zum Beispiel zu wissen, wohin mit der Serviette, oder dass man eben nicht aus Höflichkeit essen muss, wenn man es nicht mag.
So etwas thematisiere ich auch mit den Kindern. Wie teile ich dem Kellner höflich mit, dass es mir nicht so gut geschmeckt hat, zum Beispiel. Zu Hause hört man ja öfter „Igitt“ und das ist sicherlich nicht nett.
Was sind die Inhalte Ihrer Kurse? Wie laufen sie ab?
Über die Eltern lasse ich den Kindern schon vorher eine Email zukommen. Darin erkläre ich, was wir vorhaben. Es soll ein besonderer Tag sein, und dafür dürfen sie sich auch besonders schick machen, wenn sie mögen. Die Kurse finden im Paderborner Welcome Hotel statt. Die Kollegen und Kolleginnen hier machen das ganz toll. Es ist überhaupt ein sehr kinder- und familienfreundliches Haus. Wenn er im Haus ist, werden die Kinder auch vom Hoteldirektor begrüßt, was sie immer ganz toll finden. Begrüßung und Verabschiedung sind dann gleich Thema.
Begrüßung und Verabschiedung
Darüber habe ich neulich auch nachgedacht, weil auf dem Schulweg ja kaum ein Kind grüßt oder auch nur zurück einen guten Morgen wünscht. Aber einerseits machen das die Erwachsenen auch oft nicht und ich glaube, da müssen wir Eltern uns auch an die eigene Nase packen. Wir ignorieren die Kinder zu oft. Sie stehen dabei, werden aber oft nicht in Gespräche einbezogen. Und irgendwann sollen sie es dann können.
Kurse mit Großeltern
Und so wird das sicher nichts. Nach der Begrüßung widmen wir uns dem Tisch, den wir gemeinsam eindecken und dekorieren. Dabei lernt man dann die verschiedenen Bestandteile und Aufgaben des Gedecks kennen. Ich biete auch Kurse zusammen mit Großeltern an. Dabei genießen die Erwachsenen einen Aperitif, während die Kinder sich um den Tisch kümmern. Diese Kurse sind auch deshalb interessant, weil die Großeltern vieles noch kennen, was heute nicht mehr so ist.
Zum Beispiel?
Früher war es verpönt, Kartoffeln mit dem Messer zu schneiden. Das lag aber daran, dass das Besteck davon anlief. Das ist nicht mehr so, und deshalb spricht nichts mehr dagegen, wenn man es so mag.
Tisch decken und dekorieren
Die Kinder dürfen also auch Servietten falten und Kerzen aufstellen.
Ja, das machen wir je nach Saison. Und dann dieser Moment des Serviettenbrechens ist ja auch ein ganz besonderer, finde ich. Das hat sowas Feierliches.
Drei-Gänge-Menü
Was gibt es zu essen?
Die Kinder bekommen ein Drei-Gänge-Menu serviert. Dabei lernen sie, wie man mit der Serviette umgeht, welches Besteck man benutzt oder auch, dass man die Handgelenke nur auflegt und nicht die Arme aufstützt, zum Beispiel. Alles passiert in lockerer Atmosphäre und sehr spielerisch.
Eben weil es schöner aussieht. Aber es gibt jetzt nicht zum Beispiel Muscheln oder Hummer, weil das besonders schwer zu essen ist?
Um Himmels willen. Das würde sie bestimmt überfordern. Nein, aber es gibt leckeres, saisonales und regionales Essen.
Aber eben auch keine Hühnchencrossies mit Pommes, nehme ich an. Ich denke da an spezielle Geschmäcker.
Man wundert sich, was die Kinder in dieser Atmosphäre und von den toll angerichteten Tellern alles essen.
Zielgruppe
Kommen die Kinder freiwillig?
Nicht alle, denke ich. Aber bisher war kein Totalverweigerer dabei. Der Spaß in der Gruppe gewinnt doch immer. Und aus dem spielerischen „Danke“ und „Bitte“ wird dann bestenfalls eine gute Gewohnheit.
An welches Alter richten sich die Kurse und wie oft finden sie statt?
Es gibt zwei Altersgruppen, für die ich die Kurse anbiete: 6 bis 10 Jahre und 10 bis 14 Jahre. Es sind immer etwa 8 Kinder pro Gruppe. Die Termine findet man auf meiner Homepage, das sind so drei pro Monat am Freitag oder Samstag. Man kann auch individuelle Termine vereinbaren, zum Beispiel für Schulklassen oder auch Kindergeburtstage.
Nun sind die Kosten zwar nicht hoch, aber eben auch nicht ganz niedrig.
Wir nutzen hier das Ambiente und bekommen auch das Essen. Wenn ich die Kurse zu Hause abhalten würde, wäre es nicht das Gleiche.
Das sehe ich ein, aber dennoch stelle ich mir vor, dass eine bestimmte Klientel zu Ihnen kommt. Das Miteinander verschiedenster Gruppen, wie das Herr Knigge doch befördern wollte, bleibt dabei auf der Strecke, oder?
Im Moment stehe ich mit meinem Angebot noch am Anfang, aber ich kann mir sehr gut weitere Projekte vorstellen. Ich würde damit sehr gerne in Schulen oder Kitas gehen. Dann sind die Kosten natürlich auch geringer.
Auch für die OGS könnte ich mir das super vorstellen. Da wird ja ohnehin gemeinsam gegessen. Das wäre bestimmt witzig und gut fürs soziale Lernen.
Auf jeden Fall. Ich bin für Ideen offen. Gemeinsames Essen kann ja auch integrativ sein. Verschiedene Länder haben verschiedene Sitten und Gebräuche. Man könnte voneinander lernen.
Mir wurde mal berichtet, dass man in Israel signalisiert, dass man Nachschlag möchte, wenn man seinen Teller leer ist, zum Beispiel.
In asiatischen Ländern ist es auch unhöflich aufzuessen.
So viele Fallstricke! Eine abschließende Frage habe ich noch: Sind Sie konservativ?
Hm, nicht generell, aber in diesem Bereich wohl schon. Ich mag Esskultur und respektvolles Miteinander. Und das ist vielleicht tatsächlich etwas konservativ.
Nachtrag im März 2022: Leider scheint es aktuell dieses Kurs-Angebot nicht mehr zu geben. Sobald wir Neues hören, halten wir euch natürlich auf dem Laufenden.